Heute möchte ich einen Begriff erneut aufgreifen, über den ich schon in der Vergangenheit einige Gedanken zum Besten gegeben habe.
Anlass dieser Wiederholung sind Gespräche, die ich in dieser Woche mehrfach passiv, als stiller Beobachter und Zuhörer (oder auch Stalker), miterleben durfte. Es war für mich erschreckend zu erleben, wie oft hierbei von Kompromiss gesprochen wurde obwohl es unter dem Begriff Kapitulation zu benennen gewesen wäre. Noch erschreckender war für mich, dass die Kapitulierenden nicht einmal realisiert hatten, dass ihrem vermeintlichen „Kompromiss“ eine Form der Erpressung vorausgegangen ist. Das erinnerte mich sehr an Lohnverhandlungen, denen ein erpresserischer Streik oder eine Aussperrung vorausgeht. Auch diese Verhandlungen haben wenig mit Kompromissen zu tun. Auch wenn ich mir mit dieser Äußerung „Feinde“ mache, geht nichts an der Tatsache vorbei, das bei genauer Betrachtung jeder Streik oder auch Aussperrung am Ende mit einer Kapitulation endet. Es geht nur um dass Messen der Stärke und nicht um ein fundamentales Prinzip dessen Angleichung im Kompromiss endet.
Was unweigerlich zur folgenden Frage führt:
"Ist jeder Kompromiss auch wirklich ein Kompromiss, oder versteckt man hinter diesem Begriff eine Kapitulation?"
Oft hört man, dass das Leben immer Kompromisse einfordert. Sind wir jedoch in der Lage den Unterschied zwischen Kompromiss und Kapitulation zu erkennen? Ist es nicht so, dass die meisten Kompromisse eigentlich Kapitulationen sind, aus welchen Gründen auch immer? Ist es nicht so, dass die meisten Kompromisse „faule Kompromisse sind? Was sind die Kennwerte eines Kompromisses um auch dem Begriff gerecht zu werden?
Meine Definition von Kompromiss ist:
"Eine Angleichung von gegensätzlichen Forderungen durch gegenseitige Zugeständnisse. Das bedeutet, dass beide Parteien eine gültige Forderung und einander Werte anzubieten haben. Und das wiederum bedeutet, dass beide Parteien sich über ein fundamentales Prinzip einig sein müssen, welches beiden als Basis dient."
Eigentlich müsste diese Definition ausreichend sein um festzustellen, dass man nur dann Kompromisse schließen darf wenn man ein beidseitig akzeptiertes Prinzip umsetzt. Man darf z.B. mit einem Käufer über den Preis verhandeln, den man für ein Produkt erhalten will und sich auf einen Preis einigen, der irgendwo zwischen der eigenen Forderung und dem Angebot liegt. Hier wird das gemeinsame Grundprinzip deutlich, es ist das Prinzip des Handels. Das Prinzip des Handels impliziert, dass der Käufer dem Verkäufer für sein Produkt bezahlen muss. Das bedeutet aber, dass wenn man bezahlt werden möchte und der angebliche Käufer das Produkt umsonst erhalten möchte, ist ein Kompromiss, eine Einigung und Diskussion unmöglich. Möglich ist hierbei nur die totale Kapitulation des einen oder des anderen.
Es kann also zwischen einem Hausbesitzer und einem Einbrecher keinen Kompromiss geben. Dem Einbrecher einen einzigen Löffel, oder das Tafelsilber anzubieten, wäre kein Kompromiss, sondern eine totale Kapitulation - die Anerkennung seines Rechts auf das Eigentum des anderen. Welchen Wert oder welches Zugeständnis hat der Einbrecher als Gegenleistung angeboten? Und wenn das Prinzip der einseitigen Zugeständnisse erst als Grundlage der Beziehungen zwischen den beiden Parteien akzeptiert wurde, so ist es doch nur eine Frage der Zeit, bevor der Einbrecher sich den Rest holt.
Sehen wir uns als ein Beispiel für diesen Prozess die gegenwärtige Außenpolitik der USA oder Europas an. Es kann keinen Kompromiss zwischen Freiheit und staatlicher Kontrolle geben; das Akzeptieren von „nur ein paar Kontrollen“ bedeutet, das Prinzip von unveräußerlichen individuellen Rechten aufzugeben und es durch das Prinzip der unbeschränkten, willkürlichen Macht des Staates zu ersetzen und sich somit selbst der allmählichen Versklavung auszuliefern.
Oder sehen wir uns als Beispiel für diesen Prozess die gegenwärtige Innenpolitik an. Es kann keinen Kompromiss bei Grundprinzipien oder in fundamentalen Fragen geben. Was würdet ihr als Kompromiss zwischen Leben und Tod ansehen? Oder zwischen Wahrheit und Unwahrheit? Oder zwischen Vernunft und Irrationalität?
Schon an diesen paar Beispielen wird deutlich, was heute unter Kompromiss verstanden wird. Man meint mit „Kompromiss“ nicht ein legitimes gegenseitiges Zugeständnis oder einen Tausch, sondern den Verrat von Prinzipien - die einseitige Kapitulation vor grundlosen, irrationalen Forderungen. Doch wo kommt dieser Irrsinn her? Der Ursprung findet sich in der Lehre des „ethischen Subjektivismus“, der behauptet, dass ein Wunsch oder eine Laune ein unreduzierbarer moralischer Grundsatz sei, dass jeder Mensch Anspruch auf jeden Wunsch habe, der im gerade in den Sinn kommt, dass alle Wünsche die gleiche moralische Gültigkeit hätten und dass Menschen nur miteinander auskommen könnten, wenn alle nachgeben und mit allen „Kompromisse schließen“. Es ist nicht schwer zu sehen, wer durch solch eine Lehre profitieren und wer verlieren wird.
Die Unmoral dieser perfiden Lehre - und auch der Grund, warum der Begriff „Kompromiss“ in seiner heutigen Verwendung, moralischer Verrat impliziert, liegt in der Tatsache, dass sie voraussetzt, dass Menschen ethischen Subjektivismus als Grundprinzip akzeptieren, das alle anderen Prinzipien in menschlichen Beziehungen verdrängt und alles den Launen eines anderen opfert.
Die Frage: „Erfordert das Leben nicht Kompromisse?“ Stellen gewöhnlich nur jene Menschen, die es versäumen, zwischen Grundprinzipien und einem konkreten, spezifischen Wunsch zu unterscheiden. Eine Anstellung anzunehmen, die schlechter bezahlt wird als die, die man wollte, ist kein „Kompromiss“. Anweisungen von seinem Arbeitgeber entgegenzunehmen, ist kein „Kompromiss“. Den Kuchen nicht mehr zu haben, wenn man ihn gegessen hat, ist kein „Kompromiss“.
Integrität besteht nicht aus der Loyalität zu subjektiven Launen, sondern aus der Loyalität zu rationalen Prinzipien. Ein „Kompromiss“ - und hier meine ich in der prinzipienlosen Bedeutung des Wortes - ist kein Verstoß gegen die eigene Bequemlichkeit, sondern ein Bruch mit den eigenen Überzeugungen.
Seinen Mann oder seine Frau zu einem Konzert zu begleiten, wenn man sich aus Musik nichts macht, ist kein „Kompromiss“; die Kapitulation gegenüber ihren oder seinen irrationalen Forderungen nach gesellschaftlicher Konformität, nach geheuchelter religiöser Gehorsamkeit oder nach Großzügigkeit gegenüber blödsinnigen Schwiegereltern, sei ein „Kompromiss“. Die Vorschläge eines Verlegers für Änderungen in einem Manuskript anzunehmen, wenn man die rationale Stichhaltigkeit seiner Vorschläge sieht, sei kein „Kompromiss“; solche Änderungen gegen das eigene Urteil und eigene Maßstäbe vorzunehmen um ihm oder den Leuten zu gefallen, sei ein „Kompromiss“.
Die übliche Entschuldigung lautet in solchen Fällen, dass der „Kompromiss“ nur kurzzeitig sei und dass man seine Integrität in einer unbestimmten Zukunft wiederherstellen werde. Man kann aber die Irrationalität seiner Ehefrau oder seines Ehemanns nicht korrigieren, indem man ihr nachgibt und sie zum Wachsen ermutigt. Man kann den Sieg seiner Ideen nicht erreichen, wenn man dabei hilft, ihr Gegenteil zu propagieren. Man kann kein literarisches Meisterwerk verkaufen - „wenn man erst reich und berühmt ist“ - an ein Publikum, das man durch das Schreiben von Müll erworben hat. Wenn man es schwierig fand, die Loyalität zu seinen Überzeugungen am Anfang aufrecht zu erhalten, wird Verrat - der dabei geholfen hat, die Macht des Bösen zu bestärken, zu dessen Bekämpfung man nicht den Mut hatte - es später nicht leichter, sondern es buchstäblich unmöglich machen.
Es kann keinen Kompromiss bei moralischen Prinzipien geben. „Bei jedem Kompromiss zwischen Nahrung und Gift kann nur der Tod gewinnen. Bei jedem Kompromiss zwischen Gut und Böse kann nur das Böse gewinnen.“
Wenn ihr das nächste mal in die Versuchung geratet, zu fragen „Erfordert das Leben nicht Kompromisse?“, übersetzt diese Frage in ihre eigentliche Bedeutung: „Erfordert das Leben die Aufgabe dessen, was wahr und gut ist, zugunsten dessen, was falsch und böse ist?“ Die Antwort lautet, dass das Leben genau das verbietet - wenn man irgendetwas außer jahrelanger qualvoller Selbstzerstörung erreichen will.
Euer Zeitgedanken
Prinzipiell ja, dann aber nein. Die harte Unterscheidung zwischen Kompromissen und moralischer Integrität ist in den meisten Fällen eine falsche Dichotomie. Das ist zwar nur meine Meinung, aber ich glaube in der Realität ist es komplizierter. Verrat und Ideal scheinen da oft austauschbar, gerade wenn wir von entgegen gesetzten Sichtweisen sprechen. Für die Einen ist ein Pazifist ein Verräter, für die Anderen ein Idealist.
Ich persönlich glaube immer mehr, dass die meisten Menschen überhaupt gar kein konsistentes Wertesystem haben, das einer genaueren Betrachtung standhalten könnte. Deswegen dann die Denkverbote, die Schwarz-Weiß-Unterscheidungen und so weiter. Der Appell an den vermeintlichen Idealismus dient hier oft nur der Gefügigmachung. Oft würde ein funktionierendes Gedächtnis reichen, um die vorgeschobenen Werte als das sehen was sie sind. Ein Mittel zum Zweck, Propaganda, Steigbügelhalter für Interessen.
Nimm Gott. Wie soll ich die Frage nach dessen Existenz sinnvoll beantworten, wenn ich nicht weiß was mit dem Begriff eigentlich gemeint ist? Reden wir von der gleichen Sache? Und woher wollen wir das wissen? Es nicht wissen zu wollen wäre ignorant. Vor Allem Bezug darauf, dass du dir über deine eigene Prinzipientreue gar nicht gewiss sein kannst, wenn du deine Prinzipien gar nicht kennst. Sicher könnte man das fehlende Verständnis an einen Priester auslagern, der für dich versteht und dich anleitet, aber dann besteht eben wieder die Gefahr der Instrumentalisierung. Oder eben den Machtmissbrauch.
PS: Ich bin mir über die Ironie des Beitrags bewusst. Im Sinne dessen, dass ich selber irgendwie vage bin und Begriffe nicht ausreichend definiere. Ich bin mir nicht sicher ob sich das jetzt um einen Verrat an meinen Idealen handelt, oder doch nur einen Kompromiss.
nur als Gedankenstütze, ich hatte über Kompromiss oder Kapitulation referiert. Aber richtig erkannt: "Es kann keinen Kompromiss bei moralischen Prinzipien geben". Hatte ich oben beschrieben.
Danke für dein Interesse an meinen Gedanken
Dein Kommentar hat mich aber auf noch andere Gedanken gebracht, die du im PS: hinterlassen hast. Die Aussage des "definieren". Da muss ich mir doch mal Gedanken darüber machen. Wie über den Begriff "Kompetenz". Hier als Einleitung mein erster Gedanke zum "definieren", alles weitere muss ich mir noch überlegen und eventuell einen eigenen Beitrag verfassen.
Beginnt nicht jedes Sachbuch mit einer wasserdichten Definition? Im ersten Schritt denke ich Definitionen sind logisch genau so unmöglich wie Letztbegründungen. Auf diese Unmöglichkeit bezog sich der deutsche Wissenschaftstheoretiker Hans Albert mit seinem "Münchhausen-Trilemma".
Denn, hinterfragt man jedes Wort einer Definition, gibt es nur drei mögliche Konsequenzen: Wir beschreiben die Worte mit anderen Worten, die wiederum hinterfragt werden können, was jedoch irgendwann in einer Sackgasse führen muss, da die Anzahl der Worte begrenzt ist. Oder es kommt zum Zierkelschluss: Irgendwann wiederholen sich die Worte in einer Endlosschleife, was logisch unsinnig ist. Dies führt zwangsläufig zur dritten Konsequenz: Das Verfahren muss abgebrochen werden.
Aber das sind nur meine ersten Gedanken. Vielleicht State ich dazu mal ein Experiment.
Danke für die Steilvorlage.
Das sind höchst interessante 'Zeitgedanken', denen ich so Einiges abgewinnen kann und die mich zum Nachdenken anregten.
Obwohl viel Wahres in deinen Ausführungen steckt, sehe ich einige der von dir angeführten Beispiele mit etwas geringerer 'Absolutheit'.
Nehmen wir dieses:
Das empfinde ich als nicht ganz so dramatisch: Es dürfte kaum möglich (vielleicht auch nicht wünschenswert?) sein, einen Partner zu finden, mit dem man alle Interessen und Vorlieben teilt. Bevorzugte z. B. meine Partnerin andere Musik als ich, wertete ich das nicht als irrational, sondern schlicht als "Geschmackssache" (wobei ich es durchaus positiv sehe, dass nicht jeder dieselbe Musik hört, dasselbe Essen isst und dieselben Hobbys pflegt).
Begleitete ich meine Frau auf ein Konzert, das mir selbst nicht gefiele, täte ich das nicht aufgrund irgendwelcher Normen oder gar Gehorsamkeit, sondern einfach, um ihr einen Gefallen zu tun, falls sie sich in meiner Anwesenheit besser fühlte. Mir bräche kein Zacken aus der Krone, und zwei Stunden gehen schnell vorbei. Ich genösse zwar möglicherweise nicht unbedingt die Musik, erfreute mich aber stattdessen ihrer Gesellschaft und an ihrer Freude.
Selbstredend sollte es nicht überhand nehmen, ständig Dinge zu tun, auf man keine Lust hat. Der Kompromiss bestünde darin, eine gewisse Balance der Interessen zu finden (von denen es - hoffentlich - auch hinreichend viele gemeinsame gäbe ...).
Mir fällt gerade noch ein weiteres interessantes Beispiel ein:
Obwohl ich das Bankensystem aufgrund der von ihm ausgehenden Überwachung und Kontrolle aller Geldströme und Transaktionen prinzipiell ablehne, nutze ich einen Bankaccount.
In dem Falle stimme ich durchaus zu, dass es sich dabei um eine Art Kapitulation angesichts der Realitäten handelt. Allerdings halte ich es für legitim, hier dem Pragmatismus gegenüber der 'reinen Lehre' den Vortritt zu gewähren, weil ich mir andernfalls mein Leben derart erschweren und verkomplizieren würde, das diese 'Kapitulation' mir (leider!) als derzeit gangbarster Weg erscheint (wobei ich hoffe, dass es sich dabei um einen temporären, nicht permanenten Zustand handelt).
Du weißt doch, ich überspitze gerne ein wenig. Wobei ich viel mit Menschen zu tun habe und das mit der Frau und Mann und Konzert, kenne ich sogar als tatsächliches Beispiel. Da hat meine Frau ebenfalls mit dem Kopf geschüttelt, da sie solche Probleme bei uns nicht kennt.
Zum Thema Banken, Kontrolle, Inflation, Geldströme Staat, Staatsschulden... da sollte man absolut kritisch sein. Ich möchte Dir die Hoffnung nicht nehmen, stelle dich hierbei auf einen sehr sehr langen "temporären" Zustand ein der eventuell noch schlimmer werden kann.