Wer Marx gelesen hat oder die Funktionsweise von Volkswirtschaften verstanden, ist ein Ewiggestriger, der der Zukunft nur im Wege steht. |
Sie trägt ein Silberkettchen um den Hals, das aus nachhaltigem Minenabbau stammt. Sie hat einen Ring aufgefädelt, der nie aus Erz geschmolzen werden musste, weil er immer schon da war, ein Erbstück wie der feste Glaube seiner aktuellen Besitzerin, dass die Welt nicht schlecht ist, aber der Mensch. Und die Entropie, die alles dazu treibt, zu Staub zu zerfallen, sich am besten aufhalten lässt, wenn indem weniger mehr machen, der Staat dafür aber mehr Geld ausgibt.
Frisches Geld als ewiges Versprechen
Anna Lehmann stammt aus Ostdeutschland, sie ist Chefin des Innenressorts bei der ehemals alternativen Tageszeitung "Taz" und vielgefragter Expertinnengast zu weltbewegenden Themen wie Linkspartei, Politische Linke und Aufstehen in allen öffentlich-rechtlichen Sendern. Lehmann hat vier Kinder und einen asynchronen Haarschnitt, sie hat keine Ahnung, kann aber zu allem etwas sagen. Nicht einmal die ostdeutsche Herkunft merkt man ihr an, wenn sie von "frischem Geld" fabuliert, das "in die Hand genommen werden" müsse, oder den Kanzler zart zurechtstößt, weil er das Volk einfach nicht auf Linie zu bringen versteht.
Mit dem Satz "Deutschlands Infrastruktur brökelt, das Bildungssystem ist am Anschlag, der Klimawandel schreitet voran" hat Anna Lehmann aus ihrer Sicht alle Brennpunkte des Überlebenskampfes eines Volkes zusammengefasst, das eigentlich keins mehr sein will, am Ende aber doch nur von fragwürdigen Wurzelvorstellungen und Passvorschriften zusammengehalten wird.
Krisen lösen wie die DDR
Lehmann, geboren, als die DDR auf dem Totenbett siechte, wüsste, wie sich die Krisen lösen ließen. "Der Staat muss den Hahn auf-, statt zudrehen", hat sie in einer makroökonomischen Analyse angesichts des stockenden Haushaltsstreits in der Ampelkoalition empfohlen. Es klaffe da ja noch ein Milliardenloch, schreibt Lehmann. Und ein Loch, das ist in ihrer Vorstellung etwas zu Stopfendes, gar nicht so viel anders als bei Straßenschäden oder Socken. Man macht es halt zu, fertig. Dann kann "Geld wieder fließen". Und alles wird gut wie damals im Osten, als Erich Honecker befahl, dass man nun nicht mehr heute so gut arbeiten müsse, wie man morgen leben wolle. Sondern auch gleich mit dem leben anfangen und die Zukunft gleich heute verfrühstücken könnte.
Die Sprachbilder, die Anna Lehmann verwendet, wenn es ums Geld, die Wirtschaft und den ganzen lästigen Rest an Realität geht, sind vergleichbar denen, die die berühmte "Tagesschau in einfacher Sprache" benutzt. Hier wie dort werden Nachrichten bis auf die Quantenebene von jeder Information befreit, so dass am Ende Botschaften übrigbleiben, die den Empfänger dümmer machen, als er vorher war.
Wenn die "Tagesschau in leichter Sprache" mitteilt, die Regierung habe über dieses und jenes beraten und sie überlege nun, "wie sie noch mehr für die Menschen tun" könne, entspricht das Anna Lehmanns Argumentation, dass die FDP "diejenigen triezen" wolle, "die selbst arbeiten, und diejenigen entlasten, die ihr Geld für sich arbeiten lassen".
Am offenen Geldhahn
Während es, nun ja, bei SPD, Grünen und den anderen progressiven Parteien umgekehrt ist. Dort wird ein "Hahn" aufgedreht. Dort "fließt" das Geld für den guten Zweck. Dort ist das Morgen kein Ort, an dem künftige Generationen unter untragbaren Schuldenlasten stöhnen. Sondern ein lichtes Land, das "einfach funktioniert" (Die Grünen), weil Anna, Katja, Carola, Bodo, Olaf und Saskia eines schönen Tages mit "sehr, sehr vielen klugen Maßnahmen" den "Wachstumsturbo" angeworfen haben.
Frühere Generationen von Linken haben "Das Kapital" gelesen, nicht verstanden, aber so getan. Dazu gibt es mittlerweile keinen Grund mehr. Die Vulgärmarxisten, die heute von Geldhähnen krähen, alles und überall Fördermittel verstreuen möchten und sofort nach "Hilfen", "Rettungspaketen" und der Verteilung von Milliarden rufen, die es nicht gibt, ersparen sich die Mühe. Sie sind stolz darauf, weder Marx noch Hayek noch Adam Smith und John Locke gelesen zu haben, sie brauchen nie von John Maynard Keynes oder Milton Friedman gehört haben, weil sie Marcel Fratzscher und Ulrich Schneider haben, die "Das Kapital" auch nicht für ein Buch halten, sondern für den Feind.
Still da drüben
Argentinien etwa ist aus dieser Sicht nicht pleite und zuschanden, weil jahrzehntelang mehr ausgegeben wurde als erwirtschaftet werden konnte, sondern weil ein furchtbarer rechtspopulistischer Naziökonom radikal im Sozialen kürzt, Staatsbetriebe privatisiert und zehntausende Staatsbedienstete entlässt. Was fehlt, um die eigenen Ideen umzusetzen, ist letztlich nur die Deutungshoheit. Würde niemand mehr dazwischenquatschen, den Segen endloser Schulden leugnen und behaupten, es sei gar nicht möglich, von geborgtem Geld zu leben, könnte Deutschland schon viel weiter sein.
Lehmanns Chefinnen bei der Taz haben deshalb jetzt einen Beschwerdebrief an den Bundesfinanzminister geschrieben, in dem der Liberale aufgefordert wird, nicht mehr Medienvertretern zu sprechen, die für "unappetitliche" und "rechtslastige" Organe arbeiten, die nicht wie die "Taz" ein "journalistisches Medium" sind, "das nach presseethischen Grundsätzen arbeitet", wenn es politischen Gegnern Schlaganfälle wünscht. In einen Topf geworfen zu werden mit anderen, die anders denken, andere Ansichten haben, die Welt anders betrachten und anders schreiben, das ist für wahre Vertreter einer Pressefreiheit, die nur sich für frei erklärt sehen möchte, eine Zumutung.
Irritiert und ratlos
"Irritiert" und "ratlos" hat man dort, wo in den 80ern noch Terroristen verherrlicht, der Staat delegitimiert und gnadenlos Leute gekündigt und die ohnehin verboten geringen Löhne gekürzt wurden, weil das Geld einfach nicht reichte, über die Vorstellung von einer "Pluralität der Medienlandschaft" geschimpft. Die Taz, die ihre "Frauenseite" schon einstellte, ehe andere Redaktionen einen aus der Taufe hoben, will nicht in einem Atemzug genannt werden mit "der Online-Schleuder Nius" (taz), die "ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Springer-Verlags versammelt hat", um "Ressentiments und Gehässigkeit auszuwalzen" und zu "verbreiten".
Bei der Taz, wie die großen ehemals bürgerlichen Zeitungen im Westen kein Werkzeug der Herrschaftskritik mehr, sondern eines der emsigen Vermittlung der frohen Botschaft vom Glück der Deutschen, stets so gut regiert zu werden wie es nur vorstellbar ist, sitzt die Enttäuschung spürbar tief. Hat man sich all die Jahre vergebens angedient? Hat man seine Willigkeit zu noch besserer Vermittlung aller demokratiefestigenden Maßnahmen noch immer nicht ausreichend unter Beweis gestellt? Ist denn in den Ministerien, gerade in dem mit dem Geldhahn, nicht bekannt, dass Pressefreiheit verdient werden muss? "Das schmerzt unbeteiligte Zuschauerinnen wie uns".