Persönlichkeiten 014 - Kanatschan Alibekow - Ken Alibek

in #deutsch6 years ago (edited)

13. Juni 2018

Kanatschan Alibekow (russ. Канатжан Алибеков, geboren 1950 in Kautschuk, KAZ SSR), auch Ken Alibek genannt [1], ist ein sowjetischer Arzt, Mikrobiologe und militärischer Oberst, der etwa 15 Jahre als Biowaffenexperte in der Forschung und Entwicklung von Biowaffen involviert war. 1992 verliess er die untergehende Sowjetunion und lebt seither in den USA. Er ist Vater von fünf Kindern.

Dort sagte er mehrfach aus über seine Tätigkeiten in der UdSSR, trat als Aktivist gegen biologische Waffen auf und war Geschäftsführer zweier Firmen. Die eine Firma - AFG Bioscience [2] - ist im Bereich pharmazeutische Auftragsforschung tätig, die andere - MaxWell Biocorporation, LLC - ist in den USA und der Ukraine zu Hause. Die Firma engagiert sich im Bereich der Verbesserung der medizinischen Versorgung in unterversorgten Ländern. MaxWell Biocorporation produziert in der Ukraine vor allem Generika in den Bereichen der Onkologie, Kardiologie, Immunologie und chronische Krankheiten. Die Produktion in der Ukraine erfolgt in Boryspil [3], einer Stadt in der Nähe der Hauptstadt Kiew.

Ab 2010 begann Ken Alibek als Professor und späterer Prodekan an der Nasarbajew Universität in der kasachischen Hauptstadt Astana zu arbeiten. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde er ab und an unkonventionelle bis abenteuerliche Forschungsansätze kritisiert.

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Eine weder datierte, noch näher umschriebene Photographie von Ken Alibek. Gefunden unter [4].

Auf Ken Alibek bin ich wegen eines seiner Bücher aufmerksam geworden, Biohazard [5] aus dem Jahre 2000. Dieses ist auch in deutscher Sprache unter dem Titel Bioterror: Tod aus dem Labor [6] erschienen, mir liegt es aber nur in der englischen Ausgabe vor. Dieses will ich zum Anlass nahmen, in den nächsten Wochen ein paar Artikel zum Thema Biowaffen zu veröffentlichen. Denn ich halte das Thema für sehr spannend, auch wenn es um eine wirklich grausame Art von Waffen geht.

In dem autobiographischen Buch beschreibt Alibek einige Dinge. Zum einen seinen Werdegang als militärischer Mediziner, der bei den biologischen Waffen landete und in diesem Bereich ziemlich rasch in der Hierarchie aufsteigen konnte. Er geht darauf ein, wie bei Biopreparat (russ. Биопрепарат) [7] gearbeitet wurde, so hiess die zwischen einigen Ministerien organisierte Behörde seit den frühen 1970er Jahren. An Biowaffen wurden in der Sowjetunion aber schon wesentlich früher geforscht. Auch darauf weist Alibek in seinem Buch hin.

Rechts: Die Titelseite des Buches Biohazard, geschrieben von Ken Alibek.2018-06 - Ken Alibek Biohazard.jpg

Er schreibt auch deutlich, dass er keine Mühe hatte, seine Aufgabe ohne Skrupel zu erledigen. Der Auftrag und Zweck war, möglichst tödliche und einfach einsetzbare biologische Waffen zu entwickeln und zu herzustellen. Diesen hat er bestmöglich auszuführen versucht und konnte sich stets auf ein gut gefülltes Budget verlassen.

Die im Buch erwähnten Zwischenfälle muten für die Sowjetunion ziemlich typisch an. In den meisten Forschungsgebieten war man gegenüber dem Westen eher im Rückstand und hat Sicherheitsaspekten, wenn sie die Gesundheit der Menschen betrafen, meist eher wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Omnipräsent waren dagegen Militär, zivile Verwaltung, Geheimdienste und starre Hierarchien mit der steten Gefahr, bei Nichtgehorsam rasch entfernt zu werden. Grosse Aufmerksamkeit bezüglich der Sicherheit schenkte man dann, wenn Dinge wie Forschungsergebnisse, neuartige Waffen, politische und militärische Strategien geheim bleiben sollte. Das gelang auch mit aus westlicher Sicht fast unvorstellbaren Vorgehensweisen wie geschlossenen Städten mit teilweise 100'000en von Einwohnern, die teilweise bis heute bestehen. Im Frühjahr 2017 habe ich dazu eine dreiteilige Artikelserie veröffentlicht [8].

Grössere Unfälle waren aber gerade wegen der meist nachlässigen Sicherheitsvorkehrungen eine stete Gefahr. 1979 kam es in der Nähe von Swerdlowsk (heute Jekaterinburg) zu einem folgenschweren Unfall mit Milzbrand (Anthrax). Die Filteranlage der Produktionsanlage wurde wohl aufgrund von Nachlässigkeiten abgeschaltet, worauf die Erreger entweichen konnten. Es kam zu einer Epidemie mit mehr als 100 Toten. Die offizielle Erklärung, dass die Ursache in verseuchtem Fleisch begründet lag, war für jeden Sachverständigen unhaltbar, wurde aber trotzdem lange weiter vertreten.


Nun möchte ich endlich noch etwas näher auf Ken Alibeks Biographie in der Sowjetunion eingehen. Der an dieser Stelle veröffentlichte Text stützt sich weitgehend auf die englischsprachige Wikipedia [1] und meine Eindrücke aus dem Buch Biohazard [5].

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Karte der Sowjetunion mit den Orten, an denen an den Möglichkeiten biologischer Kriegsführung geforscht wurde. Seiten XII-XIII aus [5].

Der aus der kasachischen Republik stammende Ken Alibek wurde in eine ehemals adlige Familie hineingeboren. Sein Vater Bayzak Alibekov war ein dekorierter Veteran des Grossen Vaterländischen Krieges, er kämpfte etwa in der grossen Schlacht bei Kursk und wurde sieben Mal verwundet. Ken Alibek studierte Militärmedizin in Tomsk [10], einer der ältesten Städte in Sibirien, wo er mit herausragenden Leistungen auffiel.

Am Ende des Studiums wurde er für die Tätigkeit bei Biopreparat ausgewählt, um im geheimen Biowaffenprogramm mitzuarbeiten. Biopreparat war offiziell eine zivile Organisation, trotzdem wurde darin ein Waffenprogramm organisiert. Über einen zivilen Überbau war es nicht zuletzt viel einfacher, an Material aus dem westlichen Ausland zu kommen. Der erste Auftrag führte Alibek in die Nähe der Stadt Omutninsk [11], eine Kleinstadt in der Oblast Kirov, in der eine kombinierte Anlage für Pestizidproduktion einerseits, aber auch eine Reserveanlage für biologische Waffen bestand. In Omutninsk ging es um die Forschung an Nährmedien, um das mikrobielle Wachstum besser zu verstehen und zu optimieren.

Nach einem kam er zur Versetzung in das sibirische Berdsk [12], wo es darum ging, ein mikrobiologisches Forschungs- und Entwicklungslabor aufzubauen, um an Techniken zur Optimierung der Produktion biologischer Formulierungen zu arbeiten. Später kam es zur Rückkehr nach Omutninsk und zum raschen Aufstieg zum stellvertretenden Direktor.

Die nächste Station war das kasachische Stepnogorsk [13], wo Alibek fast direkt als neuer Direktor tätig werden konnte. Offiziell war er stellvertretender Direktor von Progress Scientific and Production Association, einem Hersteller von Düngemitteln und Pestiziden. Auch das war eine Reserve-Einrichtung für Biowaffen. Stepnogorsk war eine geschlossene Stadt, die erst 1959 gegründet wurde und zunächst Zelinograd-25 (russ. Целиноград-25) und Makinsk-2 (russ.* Макинск-2) hiess. Dort wurde nicht nur an Biowaffen geforscht, sondern es gab auch eine Anlage für Nukleartechnik.

Bei Stepnogorsk wurde eine industrielle Produktionsanlage für biologische Formulierungen aufgebaut, in der in Kriegszeiten industriell waffenfähige Milzbrandsporen hergestellt werden sollten.

Weil Alibek auch in dieser Position erfolgreich war, wurde er weiter befördert und schliesslich in die Hauptstadt Moskau geholt. Dort arbeitete erst als stellvertretender Leiter des Direktorats für Biosicherheit bei Biopreparat. 1988 wurde er Erster Stellvertretender Direktor von Biopreparat. In dieser Position war er nicht nur für Einrichtungen für biologische Waffen zuständig, sondern auch für pharmazeutische Einrichtungen, die etwa Antibiotika und Impfstoffe produzierten.

Im Frühjahr 1990 gab es eine Ankündigung der Regierung, dass das Ministerium für medizinische und mikrobiologische Industrie reorganisiert werden sollte. Alibek erstellte ein Memorandum, indem er die Einstellung der Arbeit an Biowaffen vorschlug. Der Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, stimmte dem zu, allerdings blieb die Bedingung bestehen, dass Biopreparat für eine zukünftige Produktion von Biowaffen vorbereitet bleiben müsse. Danach wurde mit dem Abbau einiger Einrichtungen für biologische Waffen begonnen. Einiges wurde auch zu Ende geführt. Wie der heutige Stand ist, ist mir nicht bekannt, seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind aber bereits 25 Jahre vergangen. Ich gehe davon aus, dass Teile des vorhandenen Labormaterials nicht zuletzt in den chronisch unterversorgten Krankenhäusern verwendet werden konnte.


1992 kam es zu intensiven Vorbereitungen zwischen der Sowjetunion, den USA und dem Vereinigten Königreich, damit westliche Delegationen die sowjetischen, biologischen Anlagen besichtigen konnten. Alibek war bei den Inspektionen dabei und stellte fest, dass die USA wohl kein offensives Biowaffenprogramm betreiben. Kurz danach trat er in Protest gegen die weiter fortgesetzte Arbeit an Biowaffen. Er trat aus dem Dienst bei Biopreparat und der Armee aus und emigrierte im Herbst 1992 in die USA.

Danach hat sich Ken Alibek vermehrt der biomedizinischen und mikrobiologischen Forschung zugewendet und wirkte an der George Mason University (GMU) in Fairfax VA. Er war auch massgeblich an der Entwicklung des Aufbaus eines Labors von hoher biologischer Schutzstufe (3 von 4) beteiligt. Seinen privatwirtschaftlichen Projekten widmete er sich von 2006 bis 2010, bis er in seinem Heimatland Kasachstan tätig wurde.








[5] Biohazard
[6] Bioterror: Tod aus dem Labor


[8] Geographie 001 - Russland, geschlossene Gebiete I
Geographie 002 - Geschlossene Gebiete II - ehemalige UdSSR
Geographie 003 - Russland, geschlossene Gebiete III












[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Ken_Alibek https://en.wikipedia.org/wiki/Ken_Alibek [2] http://afgbioscience.com/about-us/ [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Boryspil https://en.wikipedia.org/wiki/Boryspil [4] https://alchetron.com/Ken-Alibek#-. Ken Alibek, 2000, Arrow. Amazon Arrow: https://www.amazon.com/dp/B00IJ06G7E/ref=cm_sw_r_tw_dp_U_x_Xjz.Ab9J1439D Amazon Delta: https://www.amazon.com/dp/0385334966/ref=cm_sw_r_tw_dp_U_x_Rjz.AbG3T84H6 To be borrowed on archive.org: https://archive.org/details/biohazard00kena. Ken Alibek und Stephen Handelman, Econ, 2001 Amazon Restexemplar: https://www.amazon.de/dp/3548750893/ref=cm_sw_r_tw_dp_U_x_tVz.AbCE95R9E [7] https://de.wikipedia.org/wiki/Biopreparat https://en.wikipedia.org/wiki/Biopreparat. @saamychristen, 18. März 2017 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/geographie-001-russland-geschlossene-gebiete-i. @saamychristen, 20. März 2017 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/geographie-002-geschlossene-gebiete-ii-ehemalige-udssr. @saamychristen, 28. März 2017 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/geographie-003-russland-geschlossene-gebiete-iii [9] https://de.wikipedia.org/wiki/Milzbrand-Unfall_in_Swerdlowsk https://en.wikipedia.org/wiki/Sverdlovsk_anthrax_leak [10] https://de.wikipedia.org/wiki/Tomsk https://en.wikipedia.org/wiki/Tomsk [11] https://de.wikipedia.org/wiki/Omutninsk https://en.wikipedia.org/wiki/Omutninsk [12] https://de.wikipedia.org/wiki/Berdsk https://en.wikipedia.org/wiki/Berdsk [13] https://de.wikipedia.org/wiki/Stepnogorsk https://en.wikipedia.org/wiki/Stepnogorsk [14] https://de.wikipedia.org/wiki/Biologische_Schutzstufe https://en.wikipedia.org/wiki/Biosafety_level


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Interessant.
Dein Interessensgebiet scheint ja den kommunismus und Soziallismus abzudecken.

Danke für den Kommentar!

Wie weit es mit wirklich abdecken her ist, weiss ich nicht, aber ja, mich interessiert das Thema Sowjetunion seit einigen Jahren sehr. Vor allem weil die Ereignisse weit weg zu sein scheinen. Ich versuche deswegen mich immer wieder nach interessanter Literatur, Dokumentarfilmen usw. umzusehen.

Es gibt auch die neun kommentare über die kommunistische Partei. Das ist auch sehr gut geschrieben. Hier als Video und Lesetext. https://www.epochtimes.de/thema/neun-kommentare-ueber-die-kommunistische-partei/zur-geschichte-des-kommunismus-und-der-kp-china-der-erste-der-neun-kommentare-video-a6029.html

Super, Danke!
Über die KP in China und deren Aufstieg sollte ich auch mal etwas mehr und vor allem sinnvolles lesen. Bisher habe ich mich vor allem auf die UdSSR beschränkt.

Cool!
Von diesen Dingen weiß ich eigentlich so gut wie gar nichts. Da freue ich mich schon jetzt sehr auf die folgenden Artikel. Wird bestimmt interessant und lehrreich!

Danke für den Kommentar!

Bezüglich biologischer Waffen bin ich auch ein Laie, ich bin in anorganischer Chemie gut ausgebildet. Aber ich gehe davon aus, dass ich in diesem Thema einiges zusammenschreiben kann, auch bezogen auf die Sowjetunion, die im Kalten Krieg ein offensives Biowaffenprogramm unterhielt.

Gut zu wissen, dass Ken Alibek als hyper-intelligenter Menschen sich seiner Verantwortung für die Menschheit bewusst wurde und aus dieser menschenverachtenden Forschung über biologische Waffen ausgestiegen ist! Ich könnte mir vorstellen, dass es bestimmt nicht leicht war aus Biopreparat und dem Dienst für die Armee auszusteigen und in die USA zu emigrieren. Da hätte mich schon interessiert, wie er das geschafft hat. Normalerweise erfährt man als Otto-Normalverbraucher nichts über solche Menschen, daher mein Kompliment für die gute Dokumentation über diese interessante Persönlichkeit!

Danke für den Kommentar und das Lob!

Ich gehe davon aus, dass es ihm wegen tödlichen Unfällen bei Biopreparat gedämmert hat. Wenn man sich z. B. ein gefährliches Virus über einen versehentlichen Stich mit einer Spritzennadel verabreicht und sich eine sehr tödliche Menge verabreicht, dann wird das Ableben für den Betroffenen zu einer sehr wüsten Sache. Im erwähnten Buch wird so etwas auch beschrieben.

Die Emigration war am Ende der Sowjetunion wohl nicht mehr wirklich schwierig zu organisieren, zumal Alibek gerade für die Post-UdSSR Besichtigungen der Forschungszentren für Biowaffen mit einigen Menschen aus dem Westen in Kontakt stand.